Pflegebegutachtung: 10 entscheidende Hinweise zur optimalen Pflegegrad -Einstufung
- Vera Vogt
- 23. Apr.
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 7. Mai
Wenn ein Pflegegrad beantragt oder ein Widerspruch gegen einen bestehenden
Bescheid eingelegt wird, folgt in der Regel eine persönliche Begutachtung durch den
Medizinischen Dienst oder einen unabhängigen Gutachter. Das Ergebnis dieses
Termins hat erheblichen Einfluss auf die Entscheidung der Pflegekasse – und damit
auf mögliche Leistungen. Eine gezielte Vorbereitung kann helfen, eine faire und
realistische Einstufung zu erreichen.
Hier sind zehn zentrale Empfehlungen, die Ihnen dabei helfen:
1. Terminzusage muss für Sie passend sein
Für die Begutachtung wird Ihnen ein Termin vorgeschlagen. Prüfen Sie in Ruhe mit
allen Personen, die bei der Begutachtung anwesend sein sollen, ob der Termin
passend ist. Haben Sie im Vorfeld genügend Zeit, um sich umfassend auf den
Termin vorzubereiten?
Wenn Sie sicher sind, dass Ihnen der Termin passt, stimmen Sie zu. Sie brauchen
keine Sorge haben, der Medizinische Dienst bzw. Medicproof muss Ihnen
Mitspracherecht bei der Terminfindung einräumen. Falls sich bei Ihnen etwas
verschiebt oder etwas Wichtiges dazwischen kommt, dürfen Sie den vereinbarten
Termin ein – bis zweimal verschieben, ohne dass Ihnen daraus Nachteile entstehen.
Sie haben jedoch eine gesetzliche Mitwirkungspflicht sich bei der Terminfindung
kooperativ zu zeigen. Unter keinen Umständen sollten Sie unvorbereitet in den
Termin gehen.
2. Zeitpuffer einplanen
Termine werden manchmal kurzfristig angesetzt – mit einem breiten Zeitfenster statt
einer festen Uhrzeit. Gutachter können deutlich früher erscheinen als angekündigt.
Sorgen Sie dafür, dass Sie rund eine Stunde vor und nach dem vereinbarten
Zeitraum verfügbar sind.
3. So bereiten Sie die pflegebedürftige Person auf die Begutachtung vor
Ein authentischer Einblick in den Pflegealltag ist entscheidend, damit der Gutachter
die tatsächliche Selbstständigkeit der pflegebedürftigen Person realistisch
einschätzen kann.
Verzichten Sie deshalb bewusst darauf, den Alltag oder das Wohnumfeld für den
Termin „herauszuputzen“. Wenn die pflegebedürftige Person zum Beispiel morgens
üblicherweise aus dem Schlafanzug in Alltagskleidung wechselt, sollte genau das
auch am Tag der Begutachtung so sein. Es geht darum, dem Gutachter einen
normalen Tag zu zeigen – nicht eine geschönte Momentaufnahme.
Ebenso wichtig: Beantworten Sie die Fragen des Gutachters offen und ehrlich – auch
wenn es um Themen geht, die unangenehm oder schambesetzt sind. Nur, wenn alle
Einschränkungen deutlich gemacht werden, kann auch eine faire und passende
Einstufung in den richtigen Pflegegrad erfolgen.
Viele pflegebedürftige Menschen empfinden die Begutachtungssituation als Prüfung
und neigen dazu, sich besonders angestrengt und selbstständig zu zeigen. Diese
Übermotivation ist gut gemeint, kann aber zu einer fehlerhaften Einschätzung führen.
Versuchen Sie daher, im Vorfeld ruhig zu erklären, dass es nicht darum geht, sich
„gut darzustellen“, sondern realistisch – denn nur so kann die notwendige
Unterstützung auch wirklich bewilligt werden.
Wichtig für Angehörige: Halten Sie sich während körperlicher Tests (z. B. Aufstehen,
Gehen, Fragen zur Orientierung) zurück. Nur so wird der tatsächliche
Unterstützungsbedarf sichtbar.
4. Beginnen Sie erst, wenn alle Beteiligten anwesend sind
Auch wenn der Gutachter früher als angekündigt eintrifft: Starten Sie das Gespräch
erst, wenn alle relevanten Personen vollständig anwesend sind. Vermeiden Sie
Aussagen wie „Wir können ja schon mal anfangen“ – denn jede Minute zählt, um
einen vollständigen und korrekten Eindruck zu vermitteln.
Die besten Voraussetzungen für eine faire Begutachtung bestehen dann, wenn alle
gut vorbereitet und präsent sind. Besonders wichtig ist die Anwesenheit der
Hauptpflegeperson sowie einer vertrauten Bezugsperson. Sie kennen die
Pflegesituation am besten und können wichtige Informationen ergänzen oder
Missverständnisse aufklären.
Lassen Sie die pflegebedürftige Person niemals allein mit dem Gutachter. Nur in
Begleitung der Menschen, die täglich unterstützen, lässt sich der tatsächliche
Hilfebedarf realistisch und nachvollziehbar darstellen.
5. Die Einstufungskriterien genau kennen
Vertrautheit mit den offiziellen Bewertungskriterien ist der Schlüssel zur guten
Vorbereitung. Nutzen Sie beispielsweise ein Pflegegrad-Selbsttest-Tool, um sich mit
den Fragen und Abläufen der Begutachtung vertraut zu machen. Sie dürfen solche
Hilfsmittel auch mit zum Termin nehmen. Je besser Sie die Kriterien kennen, desto
präziser können Sie Einschränkungen der Selbstständigkeit verdeutlichen.
6. Relevante Unterlagen griffbereit haben
Stellen Sie sicher, dass alle pflegerelevanten Dokumente geordnet und in Kopie
vorliegen. Dazu zählen u.a.:
Medikamentenpläne
Arzt- oder Entlassungsberichte
Listen verwendeter Hilfsmittel (z. B. Rollator, Inkontinenzprodukte)
Schwerbehindertenausweis (falls vorhanden)
Aufzeichnungen zu Arztbesuchen, Operationen, Therapien
Eigene Notizen zum Unterstützungsbedarf im Alltag
Zeigen Sie außerdem alle tatsächlich genutzten Pflegehilfsmittel, damit der Gutachter
ein vollständiges Bild vom Pflegealltag erhält.
7. Verschlechterung korrekt einordnen
Gutachter fragen häufig, ob sich der Gesundheitszustand „kürzlich verschlechtert“
hat. Eine unbedachte Zustimmung kann problematisch sein: Wird die
Pflegebedürftigkeit als neu bewertet, kann das den Leistungsanspruch schmälern.
Stellen Sie stattdessen klar: Die Einschränkungen bestehen bereits seit
Antragstellung und sind nicht erst „in den letzten Wochen“ aufgetreten – gerade bei
Widersprüchen ist das entscheidend.
8. Alle Einschränkungen thematisieren
Die Begutachtung ist zeitlich begrenzt – oft unter einer Stunde – und viele Kriterien
werden nur stichprobenartig geprüft. Deshalb ist es hilfreich, eine Checkliste aller
Bereiche parat zu haben, in denen Einschränkungen bestehen.
Vergleichen Sie während oder nach dem Termin, ob wirklich alle relevanten Punkte
angesprochen wurden. Falls nicht: Weisen Sie den Gutachter höflich, aber bestimmt
darauf hin. Nur die Informationen, die tatsächlich kommuniziert wurden, können im
Gutachten aufgenommen werden.
9. Klärendes Gespräch mit dem Gutachter führen
Viele sensible oder schambehaftete Themen (wie Inkontinenz, Depression oder
Desorientierung) werden im Beisein der pflegebedürftigen Person nicht oder nur
unvollständig angesprochen. Bitten Sie daher um ein persönliches Gespräch mit dem
Gutachter – ohne die pflegebedürftige Person. Korrigieren Sie dort eventuelle
Fehleindrücke und ergänzen Sie Informationen ehrlich, auch wenn es unangenehm
sein mag.
10. Klare und sachliche Haltung
Treten Sie während der gesamten Begutachtung mit einer möglichst klaren,
sachlichen und strukturierten Haltung auf. Es geht um ein intimes Thema – ja.
Dennoch stehen Ihnen bzw. dem Pflegebedürftigen bei entsprechendem
Pflegebedarf finanzielle und praktische Hilfen gesetzlich zu. Sie brauchen sich also
nicht wie ein Bittsteller fühlen.
Fazit:
Eine gute Vorbereitung ist der Schlüssel zu einer gerechten Einstufung. Wenn Sie
sich aktiv mit dem Verfahren auseinandersetzen, können Sie Missverständnisse
vermeiden und auf eine faire Bewertung der Pflegesituation hinwirken. Wird dennoch
ein zu niedriger Pflegegrad vergeben, haben Sie das Recht, Widerspruch gegen den
Bescheid einzulegen.
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